Wie geht es dem Hund dabei?
Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um sich in die Lage des Hundes zu versetzen. Egal wie lange der Hund in seinem vorherigen Zuhause war, ob Tierheim oder Privatperson, sein Leben wurde gerade komplett auf den Kopf gestellt. Er hat sein bisheriges Leben verloren und er weiß nicht, dass er (hoffentlich) ein neues Für-immer Zuhause gefunden hat.
Während Sie voller Liebe und Glückshormone sind, ist er komplett durcheinander und versucht sich mit den neuen Gegebenheiten zurechtzufinden. Was ihm jetzt dabei hilft, sind ruhige und gelassene Menschen an seiner Seite, die ihm ganz in Ruhe sein neues Leben zeigen.
Was er nicht gebrauchen kann, sind Mitleid, ständig neue Menschen und Hunde, Trubel und Unverständliche oder gar keine Regeln.
Man liest oft, dass der Hund erstmal ankommen muss. Was die meisten Menschen dann daraus machen, ist den Hund völlig frei gewähren zu lassen. Gerade bei schüchternen oder ängstlichen
Hunden, traut man sich nicht, irgendwelche Regeln aufzustellen oder gar etwas zu fordern. Genau das ist falsch!
Nichts verunsichert einen Hund so sehr, wie frei im Raum zu stehen und nicht zu wissen, woran er ist.
Ein kleiner Vergleich:
Stellen sie sich einmal vor, Sie treten eine neue Stelle im Ausland an. Sie können die Sprache nicht gut und jemand begrüßt Sie sehr herzlich, fällt Ihnen um den Hals und führt Sie dann in ein Großraumbüro, wo Sie erstmal stehen gelassen werden.
Sie wissen nicht, wie die Gepflogenheiten dort sind und niemand erklärt Ihnen die Dos and Don´ts. Fühlen Sie sich dabei wohl?
Wäre es nicht angenehmer, wenn Sie jemand begleiten und genau erklären würde, was Sie tun und was Sie lassen sollen?
Natürlich lässt sich das nicht 1:1 auf Hunde übertragen, doch auch Hunde haben ein großes Bedürfnis nach Eingliederung in die Gruppe, Regeln und nach Zusammengehörigkeit. Sie fühlen sich wohl, wenn sie genau wissen, wie alles läuft.
Was braucht der Hund jetzt?
Ihr neues Familienmitglied ist gerade in sein neues Zuhause eingezogen, was er jetzt erstmal braucht ist Ruhe. Suchen Sie
sich zunächst eine ruhige Strecke für Spaziergänge aus und meiden Sie die Hundewiese. Auch Besuche sollten Sie zunächst vermeiden. Haben Sie einen ängstlichen Hund übernommen und besitzen einen Garten, muss der Hund
erstmal gar nicht spazieren gehen.
Nehmen Sie die Ratschläge der Pflegestelle / des Tierschutzvereins ernst, egal ob Maulkorb oder ausbruchsicheres
Geschirr, verwenden Sie, was Ihnen ans Herz gelegt wurde.
Was immer gilt:
Die Leine bleibt die ersten Wochen dran, auch im Garten! Das ist sehr wichtig, denn wenn Sie mal bewusst im Internet nach entlaufenen Hunden suchen, werden Sie fest stellen, dass unglaublich viele Hunde davon die
ersten Tage im neuen Zuhause entlaufen sei es, weil die neuen Besitzer nicht aufgepasst haben oder die Leine nicht dran war. Bitte gehören Sie nicht dazu!
Vergessen Sie das Mitleid: „Oh je, der Arme hat sooo eine schlimme Vorgeschichte.“ Das steht Ihnen nur im Weg. Jetzt hat er es gut bei Ihnen. Er hat das große Los gezogen! Wenn Sie immer nur in der Vergangenheit leben und aus dem
Helfersyndrom nicht herauskommen, verstellen Sie Ihrem Hund den Weg für seine Weiterentwicklung.
Je ängstlicher der Hund, um so enger sollten Sie seine Welt begrenzen: Feste Liegeplätze, feste Regeln, feste Routinen.
Nehmen Sie ihm Entscheidungen ab, seien Sie ein sicherer, verlässlicher Anführer, an dem der Hund sich orientieren kann. Training in kleinen Schritten mit viel Belohnung hilft dabei.
Regeln schaffen eine harmonische Mensch-Hund-Beziehung
Ihre Bindung zum Hund ist vom ersten Moment an riesengroß, die Bindung des Hundes an Sie müssen Sie sich allerdings erst verdienen. Auch wenn der Hund bereits nach kurzer Zeit ruhig und zufrieden erscheint, bis er wirklich „seinen Koffer
ausgepackt hat“ vergehen noch einige Wochen, je nach Vorgeschichte vielleicht auch
einige Monate.
Die Regeln im Haus müssen vom ersten Tag an klar sein. Der Hund sollte wissen, wo er liegen darf und welche Räume er nicht betreten darf. Setzen Sie das ruhig und bestimmend durch, aber natürlich nicht grob. Eine Hausleine, die immer am Hund bleibt, also die er hinter sich herschleift, ist eine sinnvolle Sache.
Erlauben Sie dem Hund in den ersten Wochen nicht auf Sofa oder Bett zu springen. Dieses Privileg darf er sich erst einmal
verdienen und Sie sollten sich bis dahin sicher sein, dass er kein Thema aus Ressourcenverteidigung macht.
Später etwas zu erlauben, ist viel einfacher, als es wieder zu verbieten. Lassen Sie ihn ruhig im Schlafzimmer schlafen,
allerdings nicht auf dem Bett, sondern im eigenen Körbchen. Nähe schafft Bindung!
Respektieren Sie die Distanz des Hundes, das heißt kein Umarmen, kein Streicheln und kein „Gutenachtküsschen“.
Egal, wie sehr Sie das Gefühl haben, der Hund sei schon angekommen, das ist er noch nicht. Er bewegt sich lediglich „auf leisen Sohlen“, um erst einmal die neuen Menschen und sein neues Leben kennenzulernen.
Wenn er zum Kuscheln kommt, freuen Sie sich, streicheln Sie ihn seitlich am Hals (nicht über den Kopf), aber fallen Sie ihm nicht um den Hals. Die Kinder im Haushalt müssen das ebenfalls lernen.
Mag mein Hund viel Nähe?
Die Regel mit dem ungefragten Umarmen bleibt stehen. Schauen Sie sich mal Fotos im Internet von umarmten Hunden an. Achten Sie auf aufgerissene Augen und einen Hundekörper, der vom Menschen wegstrebt (so gut es eben in der Umarmung geht). Höfliche Hunde erdulden diese Unhöflichkeit vom Menschen. Hunde mit Vorerfahrung oder schlimmer Vergangenheit halten es irgendwann nicht mehr aus und beißen. Oder halten Sie bestenfalls für nicht vertrauenswürdig, weil Sie die Anstandsregeln unter Hunden offensichtlich nicht kennen.
Bei einem sensiblen Hund machen Sie das einmal zu oft und wundern sich dann, dass er nicht mehr nah an Sie herankommen will. Bei einem Hund mit Vorgeschichte zerstören Sie wirklich das bisher aufgebaute Vertrauen. Jeder Hundetrainer und Tierschützer kann Ihnen dutzende von Geschichten erzählen, in denen Hunde nach kürzester Zeit wieder abgegeben wurden, weil sie aus heiterem Himmel „geschnappt haben.“ Denken Sie hier nochmal an das Großraumbüro: wie lange würde es bei Ihnen dauern, bis sie die erste Hand weg schlagen würden?
Natürlich gibt es auch Hunde, die körperliche Nähe genießen, sogar einfordern! Wenn Sie sich unsicher sind, wie Ihr hundliches Gegenüber einzuordnen ist, können Sie entweder die Interaktion filmen lassen oder testen einfach immer wieder:
Wie reagiert der Hund, wenn Sie die Kuschelei mittendrin abrupt
beenden: Geht er, weicht er aus? Oder rückt er näher? Auch für diese Hunde gilt: Überfallen Sie sie nicht. Laden Sie sie zum Kuscheln ein – schaffen Sie Rituale. Z.b. kann man sich bei großen Hunden auf den Boden setzen und einladend
auf den Boden neben sich klopfen. So kann der Hund frei entscheiden, ob er die körperliche Nähe annehmen möchte. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Ihr Hund noch nicht so weit ist, vielleicht
wird er es auch nie. Nicht alle erwachsenen Hunde mögen das und wir Menschen sollten das respektieren.
Wer sollte mit dem Hund trainieren?
Die Regel, es gäbe nur einen „Rudelführer“ im Leben des Hundes, spukt immer noch in vielen Köpfen herum. Hunde sind
jedoch unglaublich soziale Lebewesen. Dies bedeutet nicht, dass sie alle sozial tätig werden wollen, aber sie sind
selbstverständlich in der Lage – und normalerweise willens, mit allen Familienmitgliedern zu kooperieren.
Unglaublich wichtig dabei ist jedoch, dass sich Alle gut absprechen und den Hund nicht mit unterschiedlichen Hörzeichen oder Erwartungen verwirren. Der ängstliche Hund wird dadurch noch mehr verunsichert, der eher stabilere Typ denkt
sich „die haben doch keine Ahnung“ und macht noch mehr sein eigenes Ding und wird immer unabhängiger.
Training ist für jeden Hund wichtig:
Neben der Alltagstauglichkeit, die jeder Hund braucht, hilft sie dem Angsthund auch, sicherer zu werden. Lob und die Erfahrung, etwas bewältigt zu haben, ist eine tolle Sache.
Gute Hundetrainer helfen Ihnen dabei. Im Training gibt es viele Methoden, je engstirniger die gewählte Methode ist, umso mehr schränkt sie den Blickwinkel ein: „Ohne Leckerchen!“ „Nur mit Leckerchen!“ „Nur mit Liebe!“ Jeder dieser Sprüche ist für sich genommen falsch.
Zur Zeit ist auch ein rein positives Training beliebt. Das hört sich toll an, ist aber gar nicht machbar. Schon das
Anbringen einer Leine ist nicht mehr „rein positiv“. Ohne Sie jetzt mit der Lerntheorie und Wissenschaft belästigen zu wollen. Lernen und Leben innerhalb nur eines der Quadranten der Lerntheorie ist eben nicht möglich.
Ein Beispiel aus Ihrer Kindheit:
Kennen Sie noch Topfschlagen? Wenn Sie mit „Heiß“ und „Kalt“ zum Ziel gelotst werden? Stellen Sie sich nun vor, Sie werden nur mit „Heiß“-Infos gesteuert. Ihnen fehlt also die Hälfte an Infos – der Weg dauert mindestens doppelt so lang. Hunde (und Menschen) lernen einfach schneller und besser auch mit „Kalt“-Infos, sprich auch, wenn sie verstehen lernen, was sie nicht tun dürfen und sollen.
Das bedeutet bei einem guten Hundetraining selbstverständlich, dass dies ohne die Brutalität früherer Zeiten passiert. Aber ein „Nein“ kann Hundeleben retten und auch Stress und die in unserer immer hektischer werdenden Zeit so wichtige
Resilienz – also die Fähigkeit – Stress auszuhalten – gehört zum Leben dazu.
Hunde und Menschen sind so unglaublich vielfältig in Ihrem Wesen und in Ihren Vorerfahrungen. Ein guter Hundetrainer hat eine riesengroße Werkzeugkiste und sucht das passende für das jeweilige Mensch-Hund-Team heraus.
Gerne unterstützen wir Sie in Form von Einzelunterricht.