Balljunkies – gibts das wirklich?
Unter Balljunkie versteht der Hundetrainer einen Hund, der regelrecht süchtig nach einem Spielzeug (es muss nicht unbedingt ein Ball sein, auch eine Frisbee oder anderes Spielzeug kann es sein) ist. Übrigens ist die Bezeichnung „süchtig“ nicht übertrieben, die Hunde zeigen alle Merkmale eines Abhängigen. Daneben laufen auch im Körper alle Vorgänge einer Suchterkrankung ab – inklusive Entzugserscheinungen.
Ist das begehrte Objekt in Sicht oder auch nur der Gedanke daran möglich, kann der Hund an nichts anderes mehr denken: Er kann nicht mehr spielen, schnuppern oder mit anderen Hunden kommunizieren. Nur der Gedanke an das Spielzeug beherrscht ihn. Er tänzelt neben oder vor seinem Menschen, bellt vielleicht, versucht alles, um den Menschen dazu zu bewegen, das Spielzeug wieder zu werfen. Hat er es schon, legt er es dem Menschen vor die Füße oder versperrt ihm den Weg.
Ganz schwere Fälle nehmen zur Not auch Staub oder Steinchen, die durch den Menschen beim Spaziergang hochgeschleudert werden.
Das vermeintliche Spiel entpuppt sich jedoch als Stress, wenn man sich den Hund einmal genau betrachtet: Angestrengt und nervös wartet er auf den nächsten Wurf, alle Gedanken sind darauf gerichtet. In seinem Wahn läuft der Hund beispielsweise sogar gegen Hindernisse, während er nur auf die Tasche mit dem begehrten Ball darin starrt.
Kurzfristiger Streß schadet natürlich nicht, aber täglich und bei jedem Spaziergang wird es natürlich zur Dauerbelastung. Erschwerend kommt hinzu, dass der Hund keinen natürlichen Hundebeschäftigungen mehr nachgeht: Schnuppern, spielen, kommunizieren, einfach laufen, ohne ständig unter Anspannung zu stehen. Dieser chronische Zustand macht krank!
Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr für die Gelenke: Das ständige ruckartige Zusammenstauchen tut keinem Hund auf Dauer gut! Ist der Hund bereits genetisch oder krankheitsbedingt vorbelastet, ist er schnell „kaputtgespielt“.
Viele Menschen sind mit diesem scheinbar so spielerischen Zustand jedoch zufrieden, lässt sich doch der Hund mit dem Ball problemlos von allem abrufen oder an kritischen Situationen vorbeilotsen – Mit Gehorsam oder Bindung hat das jedoch nix zu tun – der Mensch mutiert lediglich zum Dealer.
Zur Balljunkie“karriere“ eignen sich alle temperamentvollen, spielfreudigen Hunde. Besonders häufig sind die sogenannten Arbeitshunderassen betroffen, wie Hütehunde und Schäferhunde etc.
Der Beginn ist oft unbemerkt – man freut sich, dass der Hund so schön mitspielt, bringt er doch den Ball immer wieder zurück. Und schließlich soll der temperamentvolle Hund doch ausgelastet werden, oder? Doch irgendwann ist die vermeintliche Auslastung keine mehr, sondern auch nach einer Stunde Ballwerfen steht der Hund immer noch fordernd vor einem – nun – nach einigen Monaten Training schön bemuskelt, aber geistig total gestresst und weit entfernt von einem zufriedenen Hund. Hat der Hund jedoch von Geburt an schon nicht ganz optimale Gelenke mitgebracht, rächt sich die ewige Abstopperei irgendwann – die ersten Arthrossen sind schon da.
Was also tun?
Hat man einen Hund, den man im Verdacht hat, er könnte auf dem Weg zum Balljunkie sein, gilt es, klare Regeln aufzustellen. Nie lässt man sich vom Hund überreden, den Ball zu werfen, sondern es bestimmt immer der Mensch. Nutzen Sie das geliebte Spiel als besonders tolle Belohnung für gute Leistung. Ein Beispiel: Mein altdeutscher Schäferhund stammt aus reiner Arbeitslinie und ist prädestiniert, ein Balljunkie zu werden. Sein heiß geliebtes Spiely bekommt er jedoch maximal 2-3x täglich. So gut wie nie, wird es einfach geworfen, sondern es steht immer eine kleine Übung vornedran. Mit einem Hörzeichen („Fertig“ z.B.) wird es weggesteckt – er weiß dann, dass er keine Chance darauf hat und kann sich wieder anderen Dingen zuwenden. Bettelt er darum, gebe ich NIE! nach.
Geraten wir jedoch in eine schwierige Situation und ich möchte ihn besonders belohnen (nicht ablenken!!), z.B. wenn er sich angesichts von Rehen abrufen lässt, dann fliegt das Spiely ausgiebig. Das gleiche gilt nach einem besonders anstrengenden Trail etc. Wichtig ist hierbei die Reihenfolge: Belohnen und nicht bestechen! Das bedeutet, dass der Hund erst sich hat erfolgreich rufen lassen und zur Belohnung und Ball bekommt. Bestechung ist es, wenn ich mit dem Ball winke und hoffe, dass der Hund daraufhin abdreht.
Ist es jedoch schon so weit gekommen, dass der Hund an nichts anderes mehr denken kann, hilft nur ein „kalter Entzug“:
In leichteren Fällen kann man das Spielzeug als Jackpotbelohnung noch mit auf den Spaziergang nehmen, holt es aber nicht hervor.
Es kann durchaus sein, dass der Hund nun eine halbe Stunde oder länger neben einem her läuft und nur auf das Spielzeug wartet. Beruhigt er sich gar nicht, dann nimmt man das Spielzeug überhaupt nicht mehr mit und stellt sich auf eine längere Geduldsprobe ein.
Während der Entzugsphase sollte man unbedingt versuchen, dem Hund ruhigere und auslastende Tätigkeiten anzubieten. Fährtenarbeit oder noch besser Mantrailing kommen dem natürlich Jagdverhalten von Hunden so ähnlich wie nur möglich und es gibt so gut wie keinen Hund, der das nicht gerne macht. Alternativ bietet sich sorgfältig aufgebautes Dummytraining an.
Kann der Hund wieder „normal“ während der Spaziergänge denken, kann man hin und wieder auch das Spielzeug suchen lassen. Werfen sollte die absolute Ausnahme sein und wird wie gesagt sinnvollerweise als Jackpotbelohnung genutzt.