Trainingstagebuch Tyson
Sorgenkind Tyson:
Main Echo vom 09.07.2013:
Hund beißt zwei Menschen – Polizei sperrt Schweinheimer Straße ab
Große Aufregung in Aschaffenburg Große Aufregung herrschte am Freitagabend im Aschaffenburger Stadtteil Schweinheim, nachdem ein Hund eine Frau und einen Mann gebissen hatte. Das Tier, bei dem noch nicht genau feststeht, ob es sich um einen Kampfhund handelt, war danach kaum zu bändigen. Deshalb wurden auch die Schweinheimer Straße für etwa 30 Minuten gesperrt. Danach wurde der Hund in ein Tierheim gebracht. Er soll jetzt begutachtet werden. Die beiden Verletzten wurden zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht.
Mit Genehmigung des Hundehalters war dessen Schwester gegen 18:40 Uhr mit dem sieben Monate alten Hund unterwegs. Offensichtlich weil das Tier Probleme mit der angelegten Leine hatte, wurde es plötzlich aggressiv und biss die 19-Jährige zweimal in den Arm. Auch deren Begleiter wurde durch zwei Bisse in die Hand verletzt. Die junge Frau hatte in der Folge offensichtlich massive Probleme, den Bullterrier unter Kontrolle zu halten.
Weil der ganze Vorfall von vielen Passanten beobachtet wurde und sich an der viel befahrenen Schweinheimer Straße abspielte, entschloss sich die Polizei, die mit mehreren Streifenbesatzungen vor Ort war, zu einer Vollsperrung der Straße, die dann letztendlich 30 Minuten andauerte. Auch ein Schütze mit einem Betäubungsgewehr wurde angefordert, der dann allerdings nicht zum Einsatz kam.
Es gelang schließlich, das Tier, das sich mittlerweile wieder einigermaßen beruhigt hatte, an einer Laterne festzubinden. Danach wurde der Hund in einem Käfig im Dienstauto eines Polizeihundeführers zu einem Tierheim gebracht, wo er bis auf weiteres bleibt. Er soll jetzt von einem Gutachter genauer auf seine Gefährlichkeit hin untersucht werden.
Gegen die 19-jährige, die zum Zeitpunkt des Vorfalls die Verantwortung für den Hund hatte, wird jetzt wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt.
Polizei Unterfranken
Tyson landete also im Tierheim und auf Veranlassung der Besitzerin sowie des Ordnungsamtes sollte erst einmal ein phänotypisches Gutachten erstellt werden, in dem festgestellt wird, ob er in Bayern zu den Listenhunden zählt. Während dieser Begutachtung zeigte sich Tyson kaum ansprechbar, er biss ununterbrochen in alles, was sich bewegte, vorzugsweise in die Leine. Tauchte ein Hund in seinem Blickfeld auf, verbellte er diesen, änderte sich sein Blickfeld, war wieder die Leine dran… Das T-Shirt des Pfleger bekam auch einen Riß. Tysons Verhalten war dabei sehr stereotyp anmutend, Ablenkung durch Spielzeug oder Futter war nicht möglich.
Aufgrund seines Verhaltens sowie der für die Besitzerin nicht zu bewältigenden Kosten für Gutachten (Tyson zählt natürlich zu den Listenhunden) und Training wurde der Hund ans Tierheim übereignet.
Die Hundeschule Aschaffenburg ist seit 1997 Mitglied im Tierschutzverein und auch seit dem direkt neben dem Tierheim ansässig. Seit dem steht unser Angebot an den Tierschutzverein u.a. für
- Fortbildung für die Mitarbeiter und Gassigänger
- Einschätzung von Neuzugängen
- Hilfe bei Gruppenzusammensetzungen
- Besuch unserer Spiel- und Raufergruppen für Tierheimhunde
- Training mit (verhaltensauffälligen) Tierheimhunden
- Besuch von Interessenten mit dem Hund in unseren Spielstunden, um den Hund in seinem „normalen“ Verhalten außerhalb des Zwingers kennenzulernen.
Nachdem wir – wieder einmal – erklärt hatten, dass wir gerne mit Tyson trainieren würden, hörten wir erst einmal nichts mehr von ihm. Aufgrund seiner Problematik sind wir selbstverständlich davon ausgegangen, dass entweder intern oder mit Hilfe eines anderen Trainers mit Tyson gearbeitet wird.
Da uns u. A. bekannt ist, dass viele Hunde im Tierheim immer alleine gehalten werden und die Nachfragen seitens des Tierheims in der letzten Zeit gegen Null tendierten, hatten wir bereits Mitte Oktober den Vorstand um einen Gesprächstermin gebeten.
Umso geschockter waren, wir als wir durch einen Anruf vom Main Echo erfuhren, dass Tyson wieder zugebissen hatte:
Nicht zuletzt durch die Intervention des Veterinäramtes konnten wir am 1.11.2013 endlich beginnen, mit Tyson zu trainieren.
Da er seit fast vier Monaten in Einzelhaft nur im Innen- und Außenzwinger gehalten wurde (d.h. auch keine Bewegung hatte, geschweige denn Sozialkontakt), war Tyson natürlich sehr dankbar für jegliche Ansprache und absolut lernwillig. Innerhalb der ersten zwei Tage konditionierten wir ihn auf Clicker (parallel Markerwort), übten Sitz und Schau.
Der Maulkorb war dabei immer in seinem Blickfeld (die Trainerin hängte ihn sich um den Hals ;). Am ersten Tag noch schoss Tyson wieder hoch, als der Maulkorb etwas baumelte, knallte in 1,50 Höhe ans Gitter, versuchte, hineinzubeißen und bellte. Von seinen ersten Ausrastern haben wir kein Video, dieses zeigt ihn gegen Ende der Trainingseinheit schon deutlich gemäßigter (nachdem Youtube mich irgendwie ärgert, habe ich zu den anderen Videos noch den Link hinzugefügt):
Das ebenfalls eingeführte „Schade“-Signal (Abwenden der Trainerin, kein Blickkontakt, kurzes Unterbrechen des Trainings) verstand Tyson sehr, sehr schnell und es führte innerhalb von zwei Trainingssitzungen dazu, dass wir außerhalb des Gitters sowohl mit Maulkorb als auch einer Leine „fuchteln“ konnten, ohne dass er sich wieder aufregen mußte.
Da Tyson weder Decke noch Korb, geschweige denn Spielzeug in seinem Zwinger hatte (da er alles zerstörte), brachten wir ihm einen gefüllten Kong-Extreme mit und baten die Pfleger, ihm mehrmals täglich einen gefüllten Kong zur Beschäftigung zu geben.
Ab Tag 3 führten wir Targettraining mit einem sehr stabilen, großen Targetstab ein. Dieser wurde zu Beginn nur so durchs Gitter gehalten, dass Tyson nicht hineinbeißen konnte. Tyson lernte auch dies sehr schnell, so dass wir ab Tag 4 den Targetstab weiter in den Zwinger hineinhalten konnten. Gleichzeitig bewegte eine zweite Trainerin eine Leine in den Zwinger hinein, damit Tyson lernte, diese zu ignorieren.
Ziel war es, Tyson in ein Halsband samt Leine zu bekommen, damit wir mit der Maulkorbgewöhnung beginnen können. Dafür bastelten wir uns einen Stab, an dem mittels Klettband ein Lederhalsband samt Hausleine hing. Erster Trainingsschritt war, dass Tyson diese Vorrichtung berührte, aber nicht hineinbiß, sondern weiterhin dem Target folgte.
Daneben stand natürlich Sitz und Schau weiterhin auf dem Lehrplan. Alle Trainerinnen der Hundeschule Aschaffenburg wechselten sich dabei ab, damit Tyson alle kannte und das Training nicht ausfallen mußte, falls mal jemand nicht kann. So konnten wir 1-2x täglich mit Tyson trainieren (jeweils 20-30min) – übrigens komplett ehrenamtlich ohne jedes Gehalt – danke nochmal an unsere Mädels!
Am 6.11. war es endlich so weit: Dank eines Kalbshautfellstreifens schlüpfte Tyson ins Halsband samt Leine!
Nun konnte er von außen gesichert werden. Der Test, wie er auf Zug am Halsband und damit einer Einschränkung reagierte, verlief positiv, d.h. Tyson hatte keinerlei Probleme damit. Endlich konnten wir den Zwinger betreten und mit der Maulkorbgewöhnung beginnen.
Tyson blieb völlig entspannt, es gab keine weiteren Ausraster mehr. Bereits am nächsten Tag war es möglich, den Maulkorb komplett anzuziehen.
Ein kurzer Testgang außerhalb des Gebäudes zeigt sofort, dass er damit völlig überfordert war. Er sprang wieder in die Luft, biß um sich und war nicht mehr ansprechbar. Wir brachten ihn gleich zurück in seinen Zwinger, wo er sich sehr schnell wieder beruhigte.
Die darauffolgenden zwei Tage trainierten wir im Gang (dafür mußten jedesmal alle anderen Hunde in die Außengehege gesperrt werden – danke nochmal an dieser Stelle an das stets hilfsbereite Tierheimpersonal!).
Zwischendurch haben wir erst einmal noch eine Gummimatte besorgt und dank einiger Spenden konnte eine bißfeste Matte für Tyson gebastelt werden:
Trainingstechnisch wäre es gut gewesen, wenn wir nun in vielen kleinen Schritten uns der Außenwelt genähert hätten. Rein praktisch war dies jedoch aus mehreren Gründen schwierig: Zum einen war es für Tyson dringend notwendig, endlich wieder Bewegung und Auslastung (Schnuppern!) zu bekommen – Muskelabbau hatte schon eingesetzt und er ist körperlich in keinem guten Zustand. Zum anderen ist es natürlich für den Tagesablauf im Tierheim nicht so einfach, immer alle Hunde wegzusperren. Wir entschieden uns daher am 13.11. dafür, das Experiment zu wagen, und mit Tyson einen ersten Ausgang zu unternehmen. Wieder wurden alle Hunde weggesperrt und so konnte Tyson zum ersten Mal nach vier Monaten das Gebäude wieder verlassen. Seine erste Handlung waren erst einmal schnuppern und markieren :)
Bei der anschließenden Spaziergangrunde zeigte sich, dass Tyson Passanten weitestgehend ignorierte, jedoch durch schnelle Bewegungen des ihn führenden Menschen oder durch Hundegebell schnell wieder „hochfuhr“. Jedoch war dies schon deutlich gehemmter – wenn auch wieder mit zielgerichtetem Beißversuchen in die Leine – aber eben noch leicht auslösbar. Er beruhigte sich jedoch immer sehr schnell. Die Rückkehr in den Zwinger war problemlos möglich.
Endlich kam nun auch die erlösende Nachricht, dass dank unserer Fürsprache und Intervention ein Platz für Tyson in Weidefeld, dem Tierschutzzentrum des Deutschen Tierschutzbundes, geschaffen wurde.
Tyson muss jetzt noch mittels Blasrohr sediert werden (der Eingriff ist für heute geplant), um komplett tierärztlich durchgecheckt sowie kastriert zu werden. Ist alles verheilt, wird er die Reise nach Weidefeld antreten – wir sind sehr glücklich darüber und sicher, dass er dort am besten aufgehoben ist.
Während der nächsten Tage werden wir natürlich mit ihm weitertrainieren, damit er keine zu große Langeweile hat und noch ein bißchen üben kann.
*Update* Freitag
Freitag wurde Tyson kastriert und wir hatten schon im Vorfeld darum gebeten, dass er keinen Plastiktrichter erhält – bekam er aber trotzdem. Ergebnis: Tyson wacht auf und zerlegt erst einmal den Trichter. Dummerweise war an dem das Halsband samt Hausleine dran, so dass er wieder einmal nackt war. Freitagabend also Anruf vom Tierheim, Tyson ist frisch operiert und ohne alles. Iris und ich also Feierabend erst einmal abgesagt, ins Auto gesprungen, Kragen besorgt und zu Tyson gefahren. Der Hundegöttin sei Dank war er im Zwinger kooperativ wie immer und wir konnten in innerhalb von Minuten ins Halsband clickern, Leine dran, Maulkorb dran, zwei Kragen dran…. Wir danken ganz herzlich den Tierärzten vom Schlosspark für die tolle Kragenspende (der runde dicke, schwarze):
Samstagfrüh Kontrollbesuch durch Iris: Noch alles dran!
Da sich Tyson draussen noch sehr schnell aufregt, verzichten wir derzeit auf Ausgänge, damit die OP-Narbe verheilen kann. Wenn alles gut geht, geht es am kommenden Donnerstag 700km nach Norden nach Weidefeld.
Damit Tyson nicht allzuviel Langeweile hat, machen wir weiterhin täglich ein bißchen Training im Zwinger plus leckere Kongs.
Heute haben wir Handtarget geübt. Er ist wirklich fix und sehr kooperativ.
Main Echo vom 18.11.2013:
Therapie soll »Tyson« vor dem Tod retten
Bericht von Main-TV:
Update Dezember 2013:
Tyson ist wohlbehalten in Weidefeld angelangt. Die Leiterin, Dr. Umlauf, berichtete uns in einer eMail, dass Tyson schon 5kg zugenommen hat und nun auch täglich in den Auslauf darf! Wir freuen uns sehr und hoffen, bald wieder von ihm zu hören!