Tipp der Woche: Wie lese ich eine Rassebeschreibung

So selbstverständlich es klingen mag: Bei einer Rassebeschreibung sollten alle Passagen gelesen und überdacht werden. In unserer täglichen Praxis erleben wir in Punkto „Warum soll es welcher Hund sein?“ immer wieder ausgeprägte Fälle von sogenannter selektiver Wahrnehmung. Die zukünftigen Besitzer ziehen vor der Auswahl zwar durchaus Rassebeschreibung zu Rate, lassen sich jedoch dabei nur von jenen Eigenschaften leiten, die sie als besonders attraktiv empfinden, wie „verteilt seine Sympathie gleichmäßig auf alle Familienmitglieder“, „gelehrig“, „gesellig“, „stets zu Späßen aufgelegt“ usw. Überrascht stellt man dann Monate später fest, dass der „menschenbezogene und fröhliche Gefährte“ auch noch andere Bedürfnisse und Wesensmerkmale mitbringt, die man in seiner Begeisterung schlicht „überlesen“ hat und die nun problematisch werden.

Rassebeschreibung sind bei der Auswahl nicht nur eine Hilfe. Dennoch benötigt man sie, um sich ein Bild davon zu machen, womit bei welcher Rasse zu rechnen ist. Es ist hilfreich, wenn man sich eine Rassebeschreibung zunächst wie eine Art Arbeitszeugnis denkt, bei dem sich hinter bestimmten Formulierungen mehr verbirgt als auf dem Papier steht.

Häufig ist die Rede von der außergewöhnlichen Intelligenz und Lebhaftigkeit bestimmter Rassen. Hierbei müssen Sie sich – allerspätestens, wenn die Vokabel Arbeitshund oder Arbeitseifer hinzukommt – darauf einstellen, dass es sich um Hunde handelt, die eine anspruchsvolle und zeitaufwendige Beschäftigung benötigen. Normale Spaziergänge werden Tiere mit diesen Eigenschaften in der Regel nicht befriedigen können. Damit ist auch dann zu rechnen, wenn eine Hunderasse vor allem für „sehr aktive Menschen“ empfohlen wird oder „ein großer Bewegungsdrang“ thematisiert wird. Hier kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass täglich mehrere Stunden gemeinsames schnelles Laufen, Joggen oder Radfahren ein absolutes Muss sind. In eine ähnliche Richtung muss man denken, wenn vom temperamentvollen Wesen einer Rasse zu lesen ist. Um einem temperamentvollen Hund gewachsen zu sein, sollte man außerdem über eine gute und schnelle Reaktionsfähigkeit verfügen.

Wird die Selbstsicherheit, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit thematisiert, sollte man mit einem Hund rechnen, dem die Verteidigung seines Territoriums – sprich Ihres Wohnbereichs – wichtig ist. Möchte man auch weiterhin selbst entscheiden, wem man die Tür öffnen möchte und wem nicht, so darf man sich bei der Erziehung eines solchen Hundes keine Inkonsequenzen gestatten. Das gilt auch für den sogenannten „unbestechlichen Wächter“. Neigt man eher dazu „Fünfe auch mal gerade sein zu lassen“, sollte man sich dies ohne schlechtes Gewissen eingestehen und nach einer anderen, geeigneteren Rasse suchen. Damit ist man auch dann gut bedient, wenn Rassen als sehr eigen- oder selbstständig beschrieben werden oder wenn vom „reinen Ursprung der Rasse“ die Rede ist. Die starke Neigung Entscheidungen selbst zu treffen, macht hier die Erziehung schwer und für Hundeanfänger sogar oft unmöglich.

Im Fall der Formulierung „zeigen keine bedingungslose Unterordnung“, „vertragen keinen Drill“ , „sind für klassische Hundeplatzübungen ungeeignet“ sollte man davon ausgehen, dass es Rassen gibt, die leichter zu erziehen sind und sich besser anpassen als die beschriebene. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Keinem Hund sollte eine bedingungslose Unterordnung und blinder Gehorsam zugemutet werden, doch darum geht es an dieser Stelle gar nicht. Denken Sie immer an das oben erwähnte Arbeitszeugnis! Auch in diesem müssen viele Formulierungen auf indirektem Wege verstanden werden, damit man sich von den Qualitäten der beurteilten Person ein Bild machen kann. Doch zurück zum Vierbeiner: Wird ein Hund mit den genannten oder ähnlich lautenden Merkmalen versehen, muss man sich darauf einstellen, dass Erziehung hier eine lebenslange Aufgabe und Herausforderung sein wird und man oft unkonventionelle Wegen wird gehen müssen.

Häufig stößt man auf die Formulierung: „Fremden gegenüber distanziert oder misstrauisch“. Hunde, mit diesem Wesensmerkmal sind in der Regel nach außen nicht sehr kontaktfreudig und lassen sich häufig nicht gerne von Menschen, die ihrer Auffassung nach nicht zum allerengsten Kreis gehören, anfassen. Wird dies nicht berücksichtigt, können sie sich durchaus bedroht fühlen und im schlimmsten Fall entsprechend unangenehm reagieren. Zukünftige Besitzer sollten hier in einem ruhigem Umfeld leben und kein Problem damit haben, Nicht-Familienmitglieder immer wieder (ein Hundeleben lang!) darauf hinzuweisen, sich so lange abwartend zu verhalten, bis der Hund von sich aus Kontakt aufnimmt. Diese Hunde vertragen oft keine stürmische, ungefragte Annäherung.

Besonders ernst nehmen sollte man die Formel „kann bei Unterbeschäftigung Probleme machen“. Es reicht bei diesen Tieren einfach nicht aus, dass man gerne und auch lange spazieren geht. Oft werden auf diese Weise Tiere beschrieben, die zusätzlich neben der körperlichen auch intensive geistige Auslastung benötigen. Leider seltener werden derartige Beschreibung durch konkrete, mögliche Folgen ergänzt, die da sein können: Zerstörungswut, übermäßiger und unkontrollierbarer Belleifer, Aggressivität gegenüber Menschen und Artgenossen, Bewegungsstereotypien.

Besonders oft können sich zukünftige Besitzer nichts rechtes unter „Jagdpassion“ vorstellen oder genauer gesagt darunter, wie sehr eine solche, sofern sie ausgeprägt ist, ihr zukünftiges Zusammenleben mit dem Tier bestimmten wird. Manchmal verbirgt sich eine starke Neigung zum Jagen auch hinter der nichtssagenden Floskel „hat eine gute Nase“ oder „einen guten Spürsinn“. Gibt man bei diesen Tieren in der Erziehung nicht buchstäbliches alles, muss man sich darauf einstellen, den Hund ein Leben lang an der Leine spazieren zu führen, was für keinen der Beteiligten ein Vergnügen darstellt. Wildreiche Gebiete wird man wohl generell meiden müssen, was die Anzahl der Spazierwege erheblich einschränkt. Auch damit, dass man evtl. nicht von jedem Spaziergang gemeinsam nach Hause zurückkehrt, muss man rechnen. Unglücklicherweise wird man bei Hunden mit ausgeprägter Jagdleidenschaft selten darauf hingewiesen, dass sie sich als reine Familienhunde überhaupt nicht eignen. Aufgrund einer rassespezifischen Disposition jagen zu müssen, es aber im Alltag nicht zu können, stellt für viele Tiere eine Quälerei dar, auf die sie mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren.

Zähigkeit und Zielstrebigkeit beschreibt oft Hunderassen, mit denen man ohne eindeutig, unmissverständlich und vor allem regelmäßig Nein sagen zu können, nicht glücklich werden wird. Das betrifft auch Hunde mit dem oft zitierten „eigenen Willen“ oder „der starken Persönlichkeit“ sowie für den „fröhlichen Draufgänger, der vor nichts zurückschreckt“. Wünscht man sich in erster Linie einen unkomplizierten Hausgenossen, der menschliches Verwöhnaroma nicht über die Maßen ausnutzt, empfiehlt es sich einen Hund auszuwählen, bei dessen Charakterisierung die genannten Prädikaten nicht verhängt werden.

Beim einem Tier mit „ausgeprägtem Beschützerinstinkt“ ist es absolut denkbar, dass man seinen Hund häufig wird wegsperren müssen, sobald sich Besuch ankündigt oder der Handwerker etwas reparieren muss. „Gute Futterverwerter“ müssen bei der Fütterung streng reguliert werden, sie neigen zur Fettleibigkeit. Das erfordert Besitzer mit viel Selbstdisziplin, Standvermögen und vernunftgeleitetem Handeln.

Generell gilt, dass alle Eigenschaften, die als „ausgeprägt“ bezeichnet werden (sei es die Wachsamkeit, der Hütetrieb, das Bewegungsbedürfnis, die Jadgleidenschaft usw.), bei ihren Trägern schneller ins Extreme kippen können als bei Hunderassen, die nur im durchschnittlichen Maße über sie verfügen. Man sollte sich daher klar machen, dass man bei Tieren mit ausgeprägten Eigenschaften sowohl in der Haltung als auch in der Erziehung außergewöhnliches wird leisten müssen.

Erstaunlich oft werden schwierigere und ausgeprägte Eigenschaften mit Floskeln wie „ihrer Familie treu ergeben“, „brauchen engen Familienkontakt“, „zärtlich zu Bezugspersonen“, „anhänglich“ usw. geradezu weichgewaschen und so eine leichte Erziehbarkeit und hohe Familientauglichkeit suggeriert. Hier muss jedoch gesagt werden, dass man sich Bindung und Respekt gerade bei selbstbewussten, eigenständigen Tieren erarbeiten muss und keineswegs automatisch mitkauft oder geschenkt bekommt. Besondere Vorsicht ist bei weit verbreiteten Antropomorphismen angebracht. Da gelten Hunde als „besonders liebevoller Babysitter, „verrichten ihre Aufgaben mit Stil“, „sind zärtlich im Umgang mit Kindern“ oder „ohne Falsch“. Auch wenn diese Aussagen sicherlich allgemeine Tendenzen meinen, sollte man Hunde nicht verklären und geradezu zu besseren Menschen erklären. Im Übrigen darf nicht vergessen werden, dass jeder Hund, egal wie gut seine Anlagen auch sein mögen, diese nur in einem ebenso guten Umfeld entwickeln kann.

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